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REVOSax - Recht und Vorschriftenverwaltung Sachsen

VwV verwaiste jüdische Friedhöfe

Vollzitat: VwV verwaiste jüdische Friedhöfe vom 27. Dezember 2002 (SächsABl. 2003 S. 60), zuletzt enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 30. November 2023 (SächsABl. SDr. S. S 306)

Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales
über die Betreuung der verwaisten Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden im Freistaat Sachsen
(VwV verwaiste jüdische Friedhöfe)

Vom 27. Dezember 2002

I.
Allgemeines
1.
Aufgabe

Die ehemals leistungsstarken jüdischen Gemeinden sind, soweit sie noch existieren, durch die Verfolgungsmaßnahmen während der nationalsozialistischen Herrschaft weder von ihrer Mitgliederzahl noch von ihrer finanziellen Ausstattung her in der Lage, ihre zahlreichen Friedhöfe in Deutschland selbst zu betreuen. Ihr Eigentum und Vermögen war eingezogen worden, wozu auch die Friedhöfe gehörten. Das noch feststellbare Vermögen ist im Wege der Rückerstattung auf Nachfolgeorganisationen übertragen worden, an deren Stelle die örtlich wiedererstandenen israelitischen Kultusgemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder, soweit die Gemeinden auch heute noch verwaist sind, die Landesverbände der jüdischen Gemeinden getreten sind.
Der jüdische Glaube verbietet es, die oft jahrhundertealten Friedhöfe aufzulösen. Zur Betreuung dieser Friedhöfe sind Bund, Länder und Gemeinden zwar nicht rechtlich, aber moralisch verpflichtet. Sie haben daher die Betreuung als Leistung mittelbarer Wiedergutmachung übernommen; ebenso handelt es sich um die Wahrnehmung kultureller Angelegenheiten und um die Erhaltung ortsbezogener Einrichtungen ehemaliger Mitbürger.
Im Hinblick auf das Unrecht, das die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hervorgerufen hat, kommt dem gedeihlichen Zusammenleben von Juden und Nichtjuden auch erhöhte politische Bedeutung zu. Die Verwahrlosung jüdischer Friedhöfe würde angesichts des dauernden Ruherechts jüdischer Verstorbener dieses gedeihliche Zusammenleben, und damit die öffentliche Ordnung, empfindlich stören.
Die Bundesregierung hat sich durch Kabinettsbeschluss vom 31. August 1956 bereit erklärt, zusammen mit den Ländern an Stelle der (zum Teil untergegangenen) jüdischen Gemeinden die Last der Friedhofsbetreuung zu übernehmen. Die Einzelheiten über die Durchführung der Betreuung sind in einer protokollierten Absprache zwischen Bund, Altbundesländern und Vertretern jüdischer Organisationen in Deutschland vom 21. Juni 1957 (Anlage 1) festgehalten.
Der Freistaat Sachsen ist dieser Vereinbarung mit Erklärung des Staatsministers des Innern vom 17. November 1992 beigetreten. Die vorliegende Verwaltungsvorschrift regelt die Ausführung dieser Absprache im Freistaat Sachsen.

2.
Betreute Friedhöfe

Grundsätzlich werden nur solche jüdischen Friedhöfe betreut, die nicht mehr genutzt werden. Vereinzelte Neubestattungen ändern hieran jedoch nichts, wenn sie im Verhältnis zum gesamten Friedhof von sehr untergeordneter Bedeutung sind.
Bei teilweise noch regelmäßig genutzten Friedhöfen wird nur der zum Zeitpunkt der Übernahme der Betreuung nicht mehr genutzte Teil betreut.
Sind die Kosten für die Betreuung des genutzten Teils im Vergleich zu den Kosten der Betreuung des nicht mehr genutzten Teils jedoch vollkommen unbedeutend, wird ausnahmsweise auch der genutzte Teil mit in die Betreuung einbezogen.
Ein Verzeichnis der neun betreuten Friedhöfe mit einer Gesamtfriedhofsfläche von 40 440 m² enthält Anlage 2.

3.
Rituelle Gesichtspunkte

Auf Grund religiöser Überzeugung und jahrtausendealter Tradition misst das Judentum der Erhaltung und der Sicherung seiner Begräbnisstätten besondere Bedeutung zu. Ein Friedhof als heiliger Bereich muss danach als eine in das Landschaftsbild eingefügte Gesamtheit dauernd erhalten und betreut werden.
Bei der Betreuung der verwaisten Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden ist Ehrfurcht vor dem religiösen Gefühl der Juden zu wahren. Die Ruhe der Toten gilt als unantastbar. Ein jüdischer Friedhof soll Sinnbild der Vergänglichkeit alles Lebenden sein.
Deshalb sind die Friedhöfe nur in dem Umfang zu sichern, zu pflegen und nötigenfalls instand zu setzen, der gewährleistet, dass der den rituellen Vorstellungen des Judentums über die Behandlung jüdischer Grabstellen entsprechende würdige Allgemeinzustand erhalten bleibt. Die Pflege umfasst dabei die Gesamtanlage des Friedhofs und die einzelnen Gräber gleichermaßen, wobei aber die individuelle Pflege des Einzelgrabes den Angehörigen des Verstorbenen bzw. den jüdischen Stellen überlassen bleibt.
Ohne Fremdeinwirkung oder Naturgewalt umgestürzte Grabsteine symbolisieren die Vergänglichkeit. Sie müssen daher nicht wieder aufgerichtet, können vielmehr auch schräg auf der Grabstelle abgelegt werden.
Die Grabsteine sind oft in hebräisch auf der einen Seite und in deutsch auf der anderen Seite beschriftet. In diesem Fall sollen sie mit der hebräischen Beschriftung nach oben hingelegt werden.
Nur solche Grabsteine, die gewaltsam umgestürzt worden sind, sollen wieder aufgerichtet werden. Das gilt für Einwirkungen von Menschenhand und auch Naturgewalten, wie umstürzende Bäume im Sturm. Die hebräische Seite ist bei der Wiedererrichtung zum Grab hin (nach Osten) aufzustellen, die deutsche Inschrift weist nach außen.
Grabsteine oder Bruchstücke davon dürfen von dem dazugehörigen Grab nicht entfernt werden. Das würde einen groben Verstoß gegen jüdische Glaubensgrundsätze bedeuten, der nach § 168 Strafgesetzbuch bestraft werden kann.
Da keine Blumen gepflanzt werden dürfen, bringen Besucher Steine mit, die sie auf das Grabmal legen. Diese Steine dürfen nicht entfernt werden.
Da jüdische Friedhöfe in die Landschaft passen sollen, ist eine Bepflanzung zu wählen, die nicht als Fremdkörper im Landschaftsbild empfunden wird. In die Landschaft passen insbesondere Dornengehölze, Obst- und Laubbäume, nicht aber Thuja, Blautannen und andere Nadelbäume.
Das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales Chemnitz und die Gemeinden nehmen die Aufgaben unter sachkundiger Mitwirkung des zuständigen Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden wahr, der insbesondere in Zweifelsfragen der Betreuung und vor Instandsetzungsmaßnahmen zu beteiligen ist.

II.
Zuwendungen
1.
Zuwendungszweck/Rechtsgrundlage

Das Land fördert Maßnahmen zur Betreuung der jüdischen Friedhöfe, deren ursprüngliche Trägergemeinden durch die Verfolgungsmaßnahmen während der nationalsozialistischen Herrschaft untergegangen sind, im Rahmen der im Staatshaushaltsplan verfügbaren Mittel nach Maßgabe der Absprache vom 21. Juni 1957 (Anlage 1), dieser Verwaltungsvorschrift und den allgemeinen haushaltsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere gemäß §§ 23 und 44 der Sächsischen Haushaltsordnung ( SäHO) in der Bekanntmachung vom 10. April 2001 (SächsGVBl. S. 153, 154) und den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften in der jeweils gültigen Fassung.

2.
Zuwendungsempfänger

Zuwendungsempfänger sind die Gemeinden (kommunalen Gebietskörperschaften), in denen sich verwaiste jüdische Friedhöfe befinden.

3.
Zuwendungsgegenstand

Die Maßnahmen zur Betreuung umfassen die dauernde Erhaltung, Sicherung, regelmäßige Pflege und Instandsetzung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der rituellen Gesichtspunkte.
Zur regelmäßigen Pflege gehören insbesondere

  • die Unterhaltung der Einfriedung des gesamten Friedhofsgeländes, von Tor, Zugangs- und Hauptwegen;
  • die regelmäßige Überprüfung der Standfestigkeit von Grabsteinen und eventuelle Sicherungsmaßnahmen (entsprechend Nummer I 3);
  • das Mähen von Gras;
  • das Schneiden von Hecken, Sträuchern und Bäumen;
  • die Beseitigung von Unkraut;
  • das Entfernen von Mähwerk und Laub.
Zur Instandsetzung gehören insbesondere
  • die Herstellung einer sicheren Einfriedung des Friedhofs (zum Beispiel Mauer, Zaun, Hecke);
  • die Anbringung eines verschließbaren Tores;
  • das Anlegen von Wegen;
  • das Wiederaufrichten von umgefallenen Grabsteinen (entsprechend Nummer I 3).
Auf die Sicherung der Anlage wird größter Wert gelegt. Die Tore und die Einfriedung sollen den Eindruck vermitteln, dass es sich um eine geschlossene Anlage handelt, deren Betreten Unbefugten nicht ohne weiteres möglich ist.
Zuwendungsfähig sind nur Aufwendungen für Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Friedhöfe in einem dem jüdischen Glauben entsprechenden würdigen Allgemeinzustand zu erhalten. Aufwendungen für Maßnahmen, die über die Zweckbestimmung der getroffenen Absprache hinausgehen, sind nicht zuwendungsfähig. Hierunter fallen insbesondere
  • Maßnahmen der Denkmalpflege, insbesondere Restaurierung verwitterter Grabinschriften oder Konservierung zum Schutz vor Verwitterung;
  • individuelle Pflege der Einzelgräber nach Vorstellung der Angehörigen der Verstorbenen oder jüdischer Stellen;
  • individuelle Pflege des Friedhofs nach Vorstellung der betreuenden Gemeinde (zum Beispiel parkähnliche Anlage);
  • Aufstellung von Gedenktafeln und Mahnmalen;
  • persönliche und sächliche Verwaltungskosten.
4.
Art, Umfang und Höhe der Zuwendung

Die Zuwendung wird im Rahmen einer Projektförderung als Zuschuss im Wege der Anteilfinanzierung gewährt.
Die Höhe der Zuwendung wird vom Sächsischen Landesamt für Familie und Soziales Chemnitz im Einzelfall festgelegt. Dabei ist grundsätzlich eine angemessene Eigenbeteiligung der Gemeinde zu berücksichtigen. Bei den Friedhöfen handelt es sich um Einrichtungen, die in einem engen, über Generationen gewachsenen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft stehen. Danach bemisst sich der Eigenanteil an den zuwendungsfähigen Kosten insbesondere nach dem ehemaligen Einzugsbereich und der Größe des Friedhofes sowie im Vergleich dazu der Finanzkraft der Gemeinde in Berücksichtigung des Interesses von Bund und Land an der würdigen Erhaltung der Friedhöfe.

5.
Verfahren

Die Zuwendungen werden vom Sächsischen Landesamt für Familie und Soziales, Chemnitz, auf Antrag bewilligt. Die Anträge sind bis spätestens 20. November jeden Jahres unmittelbar beim Sächsischen Landesamt für Familie und Soziales in Chemnitz zu stellen.

a)
Die Zuwendungen für die regelmäßige Pflege werden im Nachweisverfahren bewilligt. Anträge sind unter Verwendung des Formblattes nach Muster 1 a zu § 44 SäHO einzureichen, sofern die Pflegemaßnahme durch eine kommunale Körperschaft erfolgt (Nummer 3.1 VVK). Die Vorlage eines Kosten- und Finanzierungsplanes (Nummer 3.3.1 VVK) ist bei diesem Verfahren nicht erforderlich.
Abweichend von Nummer 1.3 VVK dürfen die Pflegemaßnahmen ohne vorherige Bewilligung der Zuwendung durchgeführt werden. Die Aufwendungen für regelmäßige Pflege sollen in Form eines einfachen Verwendungsnachweises nachgewiesen werden.
b)
Für Instandsetzungsmaßnahmen wird ebenfalls ein einfacher Verwendungsnachweis nach Maßgabe der Nr. 10 VVK zugelassen. Er ist unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme, spätestens aber zum 28. Februar des Folgejahres, in dem die Maßnahme durchgeführt wurde, dem Sächsischen Landesamt für Familie und Soziales, Chemnitz, vorzulegen.
III.
In-Kraft-Treten

Diese Verwaltungsvorschrift tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1999 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Betreuung der verwaisten Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden im Freistaat Sachsen vom 11. Juni 1993 (SächsABl. S. 882) in Verbindung mit Nr. 1.8 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Verlängerung der Geltungsdauer von Verwaltungsvorschriften des Sächsischen Staatsministeriums des Innern aus dem Jahr 1993 vom 30. November 1998 (SächsABl. S. 1010) außer Kraft.

Dresden, den 27. Dezember 2002

Sächsisches Staatsministerium
für Soziales
Dr. Albin Nees
Staatssekretär

Anlage 1

Absprache vom 21. Juni 1957
betreffend die Durchführung der Betreuung verwaister jüdischer Friedhöfe

1.
Die oberste Landesbehörde in den beteiligten Ländern übernimmt die Verantwortung vor der Öffentlichkeit für die Durchführung der dauernden Betreuung der jüdischen Friedhöfe im Lande unter maßgeblicher sachkundiger Mitwirkung des betreffenden jüdischen Landesverbandes. Es bleibt der obersten Landesbehörde überlassen, ob und welche Behörden und Stellen mit der Durchführung im einzelnen beauftragt werden. Ebenso können die jüdischen Landesverbände ihre Mitwirkung im einzelnen den ihnen angeschlossenen jüdischen Gemeinden übertragen unter Aufrechterhaltung ihrer eigenen Verantwortung.
2.
Der auf den Bund entfallende Hälfteanteil an der von Bund und Ländern gemeinsam zu ermittelnden Pauschale für die Kosten der Betreuung wird jeweils an das zuständige Landesressort überwiesen und von ihm unter Beachtung der Richtlinie zu § 64a Reichshaushaltsordnung (Verwendungsnachweis) abgerechnet.
3.
Nach der Erklärung der jüdischen Sachverständigen erfordert die Betreuung der Friedhöfe nach jüdischer religiöser Auffassung die Bewahrung der Ruhe der Toten und Erhaltung des Friedhofes als in die Landschaft eingefügte Gesamtheit. Dazu gehören: Erhaltung einer sicheren Einfriedung mit verschließbarem Tor, ordnungsgemäße Unterhaltung der Zugangswege und der Hauptwege auf dem Friedhof, regelmäßiges Schneiden des Grases und Beseitigung des Unkrautes.
Umgefallene Grabsteine sind wieder aufzurichten. Eine individuelle Pflege des Einzelgrabes bleibt den Angehörigen des Verstorbenen beziehungsweise den jüdischen Stellen überlassen. Einzelfragen sind in Verbindung mit den jüdischen Stellen zu klären.
4.
Für die von Bund und Ländern je zur Hälfte zu tragenden Kosten der gemeinsamen Friedhofsbetreuung wurde aufgrund der verschiedenen Erfahrungssätze der Länder zur Erprobung ein Pauschalbetrag von vorläufig 0,25 DM jährlich je Quadratmeter festgelegt. 1 Für die Berechnung der auf die einzelnen Länder nach der Quadratmetergröße im Lande entfallenden Beträge soll kein Unterschied zwischen bereits instandgesetzten und den noch herzurichtenden Friedhöfen gemacht werden.1 In Zweifelsfällen kann auch ein zum Teil noch benutzter jüdischer Friedhof mit in diese Regelung einbezogen werden, weil die Kosten für die Instandhaltung der größeren nicht mehr genutzten Flächen im Vergleich zu den noch genutzten kleineren Teilen unverhältnismäßig hoch sein können. Die gemeinsame Klärung im einzelnen bleibt den Landesbehörden und den jüdischen Landesverbänden überlassen.
5.
Die noch nicht beendete Erstinstandsetzung jüdischer Friedhöfe soll in den einzelnen Ländern so rasch wie möglich durchgeführt werden.1

Anlage 2

Anlage 2
Gemeinde Fläche Anschrift
 

Fläche

Anschrift

Dresden

 3 160 m²

Alter Jüdischer Friedhof,
Pulsnitzer Straße 12

Bautzen

 1 295 m²

Muskauer Straße

Görlitz

 4 683 m²

Biesnitzer Straße

Zittau

 1 020 m²

Görlitzer Straße

Leipzig

19 829 m²

Alter Jüdischer Friedhof,
Berliner Straße 123

Leipzig

 4 320 m²

Neuer Jüdischer Friedhof,
Delitzscher Straße 224

Delitzsch

 1 093 m²

Hainstraße

Plauen

 3 590 m²

Gemarkung Kauschwitz,
Oberjößnitzer Straße

Zwickau

 1 450 m²

Thurmstraße

 

40 440 m²

 

1
Durch Zeitablauf gegenstandslos

Marginalspalte

Verweis auf Bundesgesetze

    Fundstelle und systematische Gliederungsnummer

    SächsABl. 2003 Nr. 4, S. 60
    Fsn-Nr.: 73-V03.1

    Gültigkeitszeitraum

    Fassung gültig ab: 1. Januar 1999